In vielerlei Hinsicht sind die Ergebnisse von Sharm El Sheik (COP27) dürftig. Sie spiegeln aber auch ein schwieriges Jahr 2022 mit sehr konträren Positionen – sogar mancher Vorschlaghammer war im Konferenzgepäck mit dabei. Und dennoch, fair eingeordnet, zeigen die Ergebnisse auch beachtliche Erfolge.

In dieser ersten Analyse fasst unser Autor, Daniel Scholz, zu drei zentralen Punkten den Stand der Verhandlungen nach der COP27 aus seiner Sicht zusammen: a) zu Klimazielen, b) den Emissionsminderungen und c) der im Pariser Übereinkommen elementar wichtigen Klimafinanzierung. Dabei zeigen sich offensichtliche und eklatante Leerstellen aber auch relevante Neuerungen und potenziell bedeutsame Akzentverschiebungen und Treiber. Diese sind auch unternehmerisch von Bedeutung. Wenn Sie erlauben: Im Sinne des Advents und als Denkanstoß leiten wir daraus eine positive Geschichte ab.

Und wir werden diese in den verbleibenden Wochen dieses Jahres noch fortsetzen – dazu unten mehr.

Vorworte zum Prozess

Wer die internationalen Klimaverhandlungen deuten will, sollte sich die grundsätzlichen Zusammenhänge und Abläufe in Erinnerung rufen. Der wichtigste Bezugspunkt im Jahr 2022 ist das Übereinkommen von Paris (PA). Für seine Umsetzung wurden seit 2016 zahlreiche prozedurale Vorgaben ausgestaltet. 2021 ist in Glasgow das sog. Rulebook verabschiedet worden. Eine Vielzahl von Regelungen und Konkretisierungen stehen aber noch aus. Was in die Beschlussergebnisse der Konferenzen einfließt, muss einstimmig als Gesamtpaket angenommen werden. Das macht die große Herausforderung und die Komplexität der Klimaverhandlungen aus. Messbare Verhandlungsfortschritte sind typischerweise graduell und häufig technisch so komplex, dass Vor- und Nachteile erst im Zusammenhang sichtbar werden.

Die Übersicht unten zeigt die Einbettung des Übereinkommens von Paris in die gewachsene internationale Klimaarchitektur. Die konkrete Erarbeitung der Beschlüsse geschieht in einer Vielzahl von Arbeits- und Verhandlungsformaten. Maßgebliche Ergebnisse in Sharm liefern die Beschlüsse der Vertragsparteien der Klimarahmenkonvention (COP, braun) als höchstem UNFCCC-Beschlussorgan und die Beschlüsse aus den Verhandlungen der Vertragsparteien unter dem Übereinkommen von Paris (CMA, grün).

UNFCC-Prozess

Abb.: Der UNFCCC Prozess: Organe und Verhandlungsforen (Illustration FutureCamp, Quelle UNFCCC)

Die Ergebnisse in drei Kernbereichen

Das Temperaturziel bleibt der Fixpunkt – ein Erfolg.

Spätestens seit Paris 2015 sind Temperaturziele der wichtigste Orientierungspunkt in den Verhandlungen. Damit kommt wissenschaftlich basierten Zielsetzungen enorme Bedeutung zu. In Glasgow letztes Jahr hatte sich die Staatengemeinschaft auf das 1,5 Grad-Ziel eingeschworen mit dem Slogan: „keep 1,5 °C alive!“. Unmittelbar vor Start der COP27 nutzte der Economist seinen Aufmacher, um das Scheitern dieser „illusorischen“ Zielsetzung zu erklären. Dennoch haben die Staaten eben dieses Ziel bestätigt. Mehr noch: die Abschlusserklärung erwähnt erstmalig zugleich den Bezug zu Kippschaltern im Erdsystem, den sog. tipping points. Gerade für die Inselstaaten ist diese Zielorientierung inkl. eben der Begründung, dass uns andernfalls das Klimasystem insgesamt zu entgleiten droht, die Basis, um überhaupt am Verhandlungstisch sitzen zu bleiben. In diesem Sinne lautet der Erfolg: Das 1,5 Grad-Ziel existiert noch, aber die Realität zehrt an ihm. Sie frisst von den rund 400 Gigatonnen Restemissionsbudget bis 2050 jedes Jahr mehr als 10 % auf!


Die Minderungsagenda bleibt der große Schwachpunkt.

Angesichts galoppierender Emissionen liegt kaum etwas näher, als die Minderungsleistungen zu erhöhen. Nach dem Verständnis von Paris sollte der Ambitionsmechanismus nationale Zielverschärfungen bewirken helfen. Tatsächlich hakt das Instrument. Diese Erkenntnis führte bereits im letzten Jahr zu einem „Arbeitsprogramm“ für Minderungen: Unter dem Glasgow-Pakt waren die Staaten aufgerufen bis Ende 2022 ihre auch Corona-bedingt unzureichenden Ziele tatsächlich zu verschärfen. Die ernüchternde Bilanz bis Ende der COP27: Lediglich 30 Länder sind der Vorgabe gefolgt.

Damit liefern die Staaten im von Ägypten ausgerufenen „Umsetzungsjahres 2022“ klar zu wenig. Denn um 1,5 °C zu halten – das zeigt der Weltklimarat auf ‒ müssen die globalen Emissionen spätestens 2025 ihren Scheitelpunkt erreichen. Die Realitätslücke im Jahr 2022 reicht dabei über die Ambitionslücke hinaus. Denn im Jahr der multiplen geopolitischen Krisen tritt eine eklatante Umsetzungslücke hinzu. Zwar betonen die Staaten das mittelfristige Ziel, wonach bis 2030 die globalen Emissionen um 43 % gegenüber 2019 zu mindern sind. Aber sie benennen weder die fehlenden Nachbesserungen gegenüber Glasgow als ungenügende Zwischenbilanz noch findet sich in den Ergebnissen ein konkreter Aufruf zu unmittelbaren Minderungsverschärfungen, geschweige denn ein Verweis auf die vom IPCC angemahnte Trendwende bis 2025.

Man könnte sagen: Die Welt befindet sich in einer „Permakrise“, in der Klimaschutz zumindest teilweise oder zeitweise stockt bzw. in den Hintergrund gerät. Und dennoch: Folgende Punkte könnten dem Arbeitsprogramm, das als Dialogformat mindestens bis 2026 weitergeführt werden soll, in den nächsten Monaten auf die Beine helfen:

  • Zum einen nimmt die Erklärung expliziten Bezug zu den Ergebnissen der Arbeitsgruppe III im 6. Sachstandsbericht des Weltklimarats. Damit stehen konkrete technologische Optionen für Minderungsmaßnahmen in Kernsektoren im Raum, die politisch aufgenommen werden könnten.
  • Zudem kündigen die Staaten mit „investment-focussed events (…) with a view to unlocking finance“ Initiativen an, die wichtige Impulse entfalten könnten.
  • Hinzukommen (s. u.) wichtige Effekte aus Änderungen in der Klimafinanzierung, die sich momentan abzeichnen.


Die Klimafinanzierungs-Agenda: Licht und Schatten

Ob bei Minderungen oder Anpassungen, die Transformations-Agenda verlangt enorme finanzielle Anstrengungen und weltweite Transfers. Die Ergebnisse von Sharm greifen Zahlen des Standing Committee on Finance (SCF) auf, wonach in den Jahren 2019/2020 allein diese Geldflüsse an Entwicklungsländer um den Faktor 3 zu niedrig ausgefallen seien. Tatsächlich verfehlen die Industrieländer nach wie vor ihre Geldzusagen von 2009 für den Green Climate Fund: Laut OECD lag die Minderausstattung im ersten Jahr 2020 bei 17 Mrd. USD. Gleichzeitig sind für den neuen Rahmen ab 2025 nun jährliche Transfers in Billionengröße (!) im Gespräch – also eine Erhöhung um den Faktor 10. In den kommenden 24 Monaten befassen sich insgesamt 8 technische Dialogtreffen mit den damit verbundenen Fragen.

Während diese Diskussionen weiter kontrovers verlaufen dürften, liefert Sharm auch positive Impulse für eine künftige Stärkung der Klimafinanzierung:

  • Mit dem Sharm-el Sheikh-Dialog gibt es ab sofort auch ein neues Format, das sich erstmalig mit der Konkretisierung zum Artikel 2.1c des PA befasst: Zwei Workshops sollen im kommenden Jahr eine Grundlage dafür erarbeiten helfen, wie Finanzflüsse mit dem Temperatur- und Resilienz-Zielen des PA kompatibel gemacht werden sollen. Das schließt Fragen nach dem Anteil von Fördergeldern vs. Krediten ein, den Beiträgen des Privatsektors (wozu ggf. auch der freiwillige Markt gehören kann) und natürlich der Aufteilung der Mittel auf Minderungs- bzw. Anpassungsmaßnahmen.
  • Das Format der „just energy transition partnerships“ (JETPs) wird in den COP-Beschlüssen als kooperativer Ansatz hervorgehoben. Zugleich wurde mit Indonesien ein leuchtendes neues Beispiel geschaffen: Mit 20 Mrd. USD unterstützen westliche Geberländer, u. a. die USA und Deutschland, künftig die indonesische Regierung beim Umbau ihres Energiesystems – weg von der Kohle hin zu Erneuerbaren. Damit wird nach dem JETP mit Südafrika (Volumen: 8,5 Mrd. USD) im vergangenen Jahr ein weiteres wichtiges Schwellenland bei der Transformation unterstützt.
  • Die COP-Beschlüsse fordern den Umbau bzw. Neuausrichtung der multilateralen Entwicklungsbanken (MDBs) hin zu einer besseren Bereitstellung notwendiger Klimafinanzierung. Dazu liegen eine Reihe von Vorschlägen vor (Bridgetown Agenda), für die sich unter anderem auch Frankreich stark gemacht hat.


Was sich mit Sharm dauerhaft positiv verbindet: Der Durchbruch für Zahlungen bei Schäden & Verlusten.

Die Ankündigung eines separaten Finanzmechanismus zu Loss & Damage für besonders vulnerable Staaten markiert eine Wasserscheide in den Klimaverhandlungen. Insgesamt 30 Jahre wurde diese Forderung von den Industriestaaten effektiv zurückgewiesen, weil sie auch als Eintrittskarte in potenziell unbegrenzte Regressforderungen für Klimaschäden gewertet werden könnte. Bislang gab es mit dem Warsaw International Mechanism (WIM), gegründet im Jahr 2013, lediglich ein Format zur Mobilisierung von Finanzmitteln für die Kompensation von nicht vermeidbaren Schäden und Verlusten. Über Art. 8 von Paris fand dies auch Berücksichtigung. Seit 2019 gibt es zusätzlich das Santiago Network, das technische Unterstützung für Entwicklungsländer zur Problembearbeitung bereitstellen soll. All das war bislang zahnlos. Mit dem neuen Fonds und Geldflüssen dürfte sich das nun ändern.

Wie kam es zu diesem Durchbruch? Die Zeit dafür war zum einen wohl reif: Angesichts der verheerenden Naturkatastrophen u. a. in Pakistan im Jahr 2022 war das Defizit im Umgang mit den Klimakosten evident. Auf die Agenda kam das Thema dennoch erst gegen große Widerstände und kurz vor Konferenzbeginn, um dann in den zwei Verhandlungswochen eine besondere Dynamik zu entfalten. Bedeutsam hierfür waren sicherlich zahlreiche Selbstverpflichtungen einzelner Staaten zur Bereitstellung von Mitteln. Länder wie Australien, Neuseeland oder Belgien machten Zusagen von insgesamt über 300 Millionen USD. Die bedeutendsten Mittelzusagen in Sharm machte aber Deutschland. Seine Initiative Global Shield, entwickelt unter der G7-Präsidentschaft, bündelt zahlreiche Ansätze (von Versicherungen und Garantien bis hin zu Schutzmaßnahmen und Risikomanagement-Strategien). Global Shield dürfte auch dem europäischen Vorschlag für ein Mosaik an Maßnahmen gedient haben, die sich nun im Resolutionstext zu Loss & Damage finden. Was beim Fonds noch offen und strittig ist, sind die Vorgaben zur Größe, die Auszahlungsmodi und – ganz wichtig – die Frage, ob auch große emissionsstarke Schwellenländer wie etwa China einzahlen werden. Die vorliegenden nationalen Mittelzusagen spiegeln den tatsächlichen Finanzbedarf noch in keiner Weise. Aber mit dem Fonds ist immerhin der Grundstein für weitere Schritte gelegt.

Ergebnisse unserer ersten Advents-Analyse: Positiv über den Tellerrand geschaut:

Es ist Advent. Nehmen wir das zum Anlass und fragen, ob da nicht auch im Klimaschutz etwas Positives kommen könnte. Das muss nicht naiv sein: Denn wenn wir die oben diskutierten Bausteine zusammen betrachten, also die beibehaltene Ambition zum 1,5 Grad-Ziel, die gerade auch vertrauensbildend wirkenden Maßnahmen zu Loss & Damage sowie die Initiativen rund um die Großthemen Minderungsleistungen und Klimafinanzierung, dann zeigt sich ein Umfeld mit einiger Dynamik. Könnte da nicht etwas losgetreten werden?

Stellen wir uns konkret vor: Technische Lösungen, die für die Minderung in Gigatonnendimension vielfach vorhanden sind oder absehbar verfügbar werden, rücken in den Vordergrund der politischen Bemühungen. Es entstehen Märkte der Möglichkeiten mit starkem Innovationssog. Problemlösungen werden grenzüberschreitend befördert, denn Förderbanken federn die höheren Kapitalkosten und Risiken in Entwicklungsländern ab und ermöglichen so effektiv Investitionen in Klimainnovationen weltweit. Finanzstarke internationale Initiativen skalieren die Transformation von Energiesystem in ganzen Schlüsselländern. Dabei setzt die Welt auf Maßnahmen, die gleichermaßen Emissionen senken und die Resilienz bzw. Zukunftsfähigkeit unserer Wirtschaft erhöhen helfen. Energiesicherheit ist hier ein Stichwort. Sie haben Einwände? Wir auch. Wir werden einige davon, etwa die Frage, weshalb die Welt den Ausstieg aus fossilen Energieträgern nicht zustande bringt, in den nächsten Wochen genauer anschauen. Aber eine positive Zukunftsvision im Advent sollte doch erlaubt sein.


Eine gute Vorweihnachtszeit wünscht
Daniel Scholz und Ihr FutureCamp Team


Zum Autor und der klimapolitischen Adventsreihe

In den nächsten Wochen bis Weihnachten senden wir Ihnen drei weitere Analysen zu. Lassen Sie sich überraschen. Als Themen gesetzt sind: Einblicke in den Sachstand zur Anpassungsagenda (Adaptation, PA Art. 7). Wir befassen uns auch mit den Aussichten für die natürlichen Bindungsprojekte unter den Paris-Mechanismen (PA Art. 6) und die Bedeutung von Senken generell (PA Art. 5).
Wenn wir uns den großen Konfliktlinien in den Verhandlungen und den wichtigen Feldern für Kooperation abseits des UNFCCC-Rahmens zuwenden: Was bedeutet das für die Dynamik der internationalen Klimapolitik und Klimaschutz insgesamt? Und wir widmen uns Integritätsfragen in unseren Märkten heute: Was müssen Unternehmen bei der Auswahl von Instrumenten und Claims beachten, wenn Sie Ihr Dekarbonisierungsprogramm nachhaltig auf den Weg bringen und das angemessen kommunizieren wollen?


COP27_Daniel_Weltkugell_2022-11Daniel Scholz ist Teil des Politik-Analyseteams von FutureCamp. Er beobachtet seit vielen Jahren politische Entwicklungen inklusive der internationalen Klimakonferenzen.

Daniels erste Klimakonferenz war 2008 in Posen. Damals war die klimapolitische Dynamik ebenfalls hoch. Im Folgejahr auf der wichtigen COP15 in Kopenhagen war FutureCamp dann mit einem Team von mehr als 10 Personen vor Ort! Dennoch wurde Kopenhagen zur Enttäuschung für den globalen Klimaschutz. Seither hat sich viel an den Themen und Rahmenbedingen der Verhandlungen verändert. Nicht zuletzt ist aber auch der Politikprozess insgesamt wesentlich stabiler geworden.

Für Daniel bleibt Kopenhagen dennoch positiv in Erinnerung: Er hat dort drei Wochen vor Konferenzstart geheiratet. Nicht nur die zwei Kinder aus dieser Ehe sind seither sein „Copenhagen-pledge“ für mehr Klimaschutz geworden.

Dieser Newsletter gibt persönliche Einordnungen von Daniel Scholz aus dem Politik-Analyseteam von FutureCamp wieder. Diese sind nicht unbedingt deckungsgleich mit der Lesart oder Interpretation der Ergebnisse des Analyse-Teams von FutureCamp insgesamt.

Zu seiner Einschätzung nach der ersten Verhandlungswoche hatten wir bereits informiert: COP27 in Sharm El-Sheik

Autor: Daniel Scholz
Tags:  KlimapolitikCOP


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